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URBAN GENESIS untersucht das Beispiel des einzigartigen Stadtentwicklungsprojekts BuraNEST in Äthiopien, mit dem eine der grössten globalen Herausforderungen unserer Zeit angegangen wird: die Bevölkerungsexplosion und die weitgehend unkontrollierte Urbanisierung in Afrika. Der Film nähert sich diesem visionären Projekt aus verschiedenen gesellschaftlichen Perspektiven:
FASIL GIORGHIS, äthiopischer Stararchitekt, und seine Kollegen von der Universität Addis Abeba forschen intensiv daran, wie der rasante gesellschaftliche Wandel nachhaltig gestaltet werden kann. Giorghis befürchtet eine politische Destabilisierung, denn noch immer leben mehr als 80 % der äthiopischen Bevölkerung als Subsistenzbauern auf dem Lande. Einer von ihnen ist TILAHUN AYELEW, der Mitte vierzig ist. Mit einfachen Mitteln bewirtschaften er und seine Familie ein sehr kleines Stück Ackerland. Jetzt setzt er auf die Modellstadt "BuraNEST", die in seinem Gebiet gebaut wird. Um sich in den Bottom-up-Ansatz einzukaufen, ist er sogar bereit, seinen Arbeitsochsen zu verkaufen. Tilahuns 19-jähriger Sohn FITALEW schlägt alle Warnungen seines Vaters in den Wind. Ihn zieht es in die Stadt, wo er seine eigenen Erfahrungen macht.
Am Anfang der Modellstadt standen die Ideen von FRANZ OSWALD, einem 80-jährigen Schweizer Architekten und Stadtplaner. Jahrelang verfolgte Oswald leidenschaftlich die Verwirklichung seiner Vision, die sich an den mittelalterlichen europäischen vernetzten Landstädten orientierte. Als er versucht, das Projekt wie geplant an seine äthiopischen Architektenkollegen, die Behörden und vor allem an die Dorfgemeinschaft zu übergeben, stösst er auf Widerstand. Er kämpft mit bürokratischen Hürden, Korruption und kulturellen Unterschieden.
HELEN, eine Architekturstudentin aus Addis Abeba, verfolgt die Entwicklung des Projekts seit ihrer Bachelorarbeit aufmerksam. Ihrer Meinung nach bietet es der jungen Generation Äthiopiens eine Zukunft
Das äthiopisch-schweizerische Projekt BuraNEST zielt auf die Urbanisierung der bäuerlichen Bevölkerung in einem landesweiten Netzwerk kleiner Städte ab, die neue Erwerbsmöglichkeiten ausserhalb der Landwirtschaft schaffen sollen. So könnten Infrastruktur, Know-how und Arbeitskräfte lokal konzentriert, der Wohlstand vermehrt und Perspektiven für die junge Generation geschaffen werden. Nach diesem Grundgedanken entsteht in der Region Amhara in Äthiopien seit 2010 eine prototypische Modellstadt namens BuraNEST (New Ethiopian Sustainable Town). Sie soll für zehn- bis zwanzigtausend Bauern zur Heimat werden, die sich durch eine ökologisch umgestaltete, integrierte Landwirtschaft und durch sorgfältiges Wassermanagement weitgehend selbst versorgen und sich mit den umliegenden Dörfern und Städten gut vernetzen können. Die Modellstadt stützt sich auf vier Säulen: die sogenannten E’s: Ecology, Economy, Education, Exchange. Die wirtschaftliche Grundlage von BuraNEST beruht auf der Eigenverantwortung der äthiopischen Landwirte im Rahmen neu etablierter, genossenschaftlicher Strukturen. Dazu gehören neben dem Bau der Häuser auch die ertragsbringende gemeinschaftliche Felderwirtschaft und der Ausbau von lokalem Gewerbe.
- Artikel der ETH Alumni Zeitung Connect zum Projekt in Bura: https://bit.ly/3Jc5cuk
- Artikel im Spiegel zum Projekt NESTown im Spiegel: https://bit.ly/3jaQjOm (Anmerkung von DokLab: Der Bau von 8000 Städten ist im Artikel sehr optimistisch dargestellt. Auch sind Fakten wie die Wassersituation oder die Verzögerung bei der Schule vereinfacht präsentiert. Es solle auch nicht pro Stockwerk eine Familie einziehen, sondern jede Familie kriegt ein Reihenhaus mit 2 Stockwerken.) ).
- NESTown offizielle Website: http://www.nestown.org/
- Im Buch ‘To Build a City in Africa’ vom International New Town Institute INTI in Rotterdam, wird die Modelstadt BuraNEST untersucht als einziges Bottom-Up Städteplanungs-Projekt in ganz Afrika.
- Artikel im UN Chronicle über die Notwendigkeit einer nachhaltigen Architekturplanung am Beispiel Äthiopiens. Mitverfasst vom Protagonisten des Films Zegeye Cherenet: https://bit.ly/3lTAqwT
Interessens-Deklaration: Wie auch der Film URBAN GENESIS soll der folgende Beitrag als Diskussionsgrundlage diverse Perspektiven in Äthiopien aufzeigen. Wir versuchen in den folgenden Abschnitten einen kurzen Überblick über die politischen Entwicklungen in Äthiopien zu geben ohne Position zu beziehen. Die auf dieser Website zusammengetragenen Fakten und Berichte sind allenfalls als Einführung in diesen sehr komplexen Sachverhalt zu verstehen.
2018: Aufgrund jahrelanger Proteste gibt der Ministerpräsident Hailemariam Desalegn seinen Rücktritt bekannt. Abiy Ahmed wird Parteivorsitzender der OPDO (Demokratische Organisation des Oromo-Volkes) und anschliessend in einer geheimen Wahl zum Vorsitzenden der EPRDF (Ethiopian Peoples Revolutionary Democratic Front), die damals regierende Parteikoalition. 6 Tage später gewinnt er als erster Oromo die Wahl zum Ministerpräsidenten. Diese Wahl bedeutet das Ende der 28-jährigen Macht der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF). Die EPRFD spaltet sich von der TPLF ab und Abiy benannte den neuen Parteizusammenschluss ohne die Tigray Befreiungsfront in Prosperity Party um, wie BBC berichtet.
Die Partei orientiert sich mehr an marktwirtschaftlichen Interessen und fordert wirtschaftliche und politische Reformen. Die TPLF lehnt die Gründung dieser neuen Partei ab. Die Zeit von 1991-2018 unter der Regierung der TPFL ist geprägt von Unterdrückung durch einen Polizei- und Geheimdienststaat. Die Wahl von Abiy Ahmed wird von grossen Teilen der Bevölkerung deshalb zunächst als Befreiungsschlag gefeiert wie beispielsweise auch Aljazeera berichtet.
Abiy Ahmed startet seine Amtszeit mit symbolträchtigen Aktionen. Er stoppt den Krieg gegen das Nachbarland Eritrea, lässt Opposition wieder offen zu und verfolgt die herrschende Korruption mit Expressverfahren.
Bei einer Gross-Demonstration in Addis Abeba zur Unterstützung der neuen Regierung explodiert eine Granate in der Menge. Sie war für den neuen Regierungschef gedacht. Es gab mehrere Tote, berichtet African News.
2019: Für seine kurzfristigen Verdienste wird Abiy Ahmed 2019 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, mehr dazu im Beitrag der Zeit. Da Abyi leere Staatskassen vorfindet, versucht er in arabischen Ländern flüssige harte Währung zu organisieren. Als Gegenleistung bietet er ein ganzes Quartier in Addis Abeba zur Entwicklung an.
2020: Innenpolitisch kommt es vermehrt zu Konflikten. Als Abiy Ahmed zudem die geplanten Parlamentswahlen aufgrund der COVID-19 Pandemie verschiebt, wirft die TPLF-Partei Abiy eine verfassungswidrige Verlängerung der Amtszeit seiner Regierung vor. Sie setzt eine eigene Wahlkommission ein und hält separate Regionalwahlen ab. Daraufhin wirft Abiys Regierung der TPLF ihrerseits vor, unrechtmässig eigene Wahlen abzuhalten, was die Spannungen weiter verschärft. Im ganzen Land gibt es immer wieder Berichte von Massakern an zivilen Gemeinschaften. Im Juni 2020 eskaliert die Lage erneut, als es in Folge der Ermordung eines populären Sängers der Oromo-Volksgruppe zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt, bei denen gemäss der Konrad Adenauer Stiftung über 200 Menschen zu Tode kamen.
Anfang November 2020 greift nach Angaben der äthiopischen Regierung die TPLF eine Militärbasis in Tigray, im Nordosten des Landes an. Es solle Kriegsmaterial entwendet und Soldaten entführt worden sein. Abyi geht militärisch gegen die rebellische TPLF vor. ZDF und BBC berichteten dazu.
Dieser Konflikt hat zehntausende von tigrinischen Flüchtlingen im Sudan zu Folge. Auch das eritreische Militär schaltete sich in den Konflikt ein, auf der Seite der äthiopischen Truppen. Alle Seiten werfen sich Kriegsverbrechen vor. Es wird von Massakern an ganzen Dorfgemeinschaften berichtet, die durch die äthiopische und die eritreische Armee verübt worden seien. Ende November 2020 bezichtigt die äthiopische Menschenrechts-Kommission auch die TPLF, Massaker verübt zu haben.
Artikel zum Thema: Washington Post, Amnesty International, The Guardian
2021: Bis zum 29. Januar flohen gemäss der Welthungerhilfe bereits über eine halbe Million Menschen von dem sich ausweitenden Bürgerkrieg. Etwa 2,3 Mio Menschen in der Tigray Region sind auf Hilfsgüter angewiesen. Gemäss Spiegel kommen aufgrund einer Blockade der äthiopischen Armee nur wenige Hilfsgüter in der Region an. Es droht eine massive Hungersnot. Abiy Ahmed soll Anweisungen gegeben haben, die Agrarinfrastruktur der Bauern in der Tigray Region zu zerstören.
Die Kämpfe weiten sich auf benachbarte Bundestaaten aus und die TPFL erobert Städte in Amhara, die BBC berichtet . Im November erobern die Rebellen eine Stadt 200km vor Addis Abeba, Abyi Ahmed zeigt sich an der Front – der Hintergrundbericht in der WOZ.
2022: Der Konflikt dauert bis heute an. Die Tigray Region ist immer noch praktisch abgeschnitten von der Aussenwelt und viele Menschen sind vom Hunger bedroht. Laut Washington Post kamen in diesem Konflikt bis an die 250’000 Menschen ums Leben. (Anmerkung DokLab: ein Kommentar Zegeye Cherenets zu diesem Artikel siehe unten)
Weitere Zeitachsen über die Entwicklungen in Äthiopien gibt es auf DW, im Deutschlandrundfunk oder The Guardian. Ein regierungskritischer Artikel findet sich auf The Globe and Mail. Auch Amnesty International berichtet.
(...) Der Autor hat einen typischen herablassenden Ton gegenüber der äthiopischen Regierung. [Das ist] üblich für westliche Autoren, wenn sie über Afrika und afrikanische Führer schreiben, die es wagen, die westliche Hegemonie in Frage zu stellen. Stell Dir einen herzlosen Aufruf zu weiteren Sanktionen vor – das Land ist bereits am Boden durch die amerikanischen und europäischen Sanktionen. Noch ärgerlicher ist, dass sowohl die europäischen als auch die amerikanischen Mächte den Fall gerne als ethnischen Konflikt darstellen würden, während es in der Region fast zum Allgemeinwissen gehört, dass der Krieg seit der Zeit des Kalten Krieges andauert – in erster Linie als globales Machtspiel um die Kontrolle des Rotmeer-Gürtels, durch den 30% des Welthandels fliessen. Im Jemen herrscht Chaos, Somalia wird als Niemandsland gehalten, Eritrea ist ein Chaos.... und Äthiopien wurde in einem relativen Frieden gehalten (von 2000 bis 2014), weil es sich den USA unterwarf und als Kraft eingesetzt wurde, um die Region in Schach zu halten (indem es die regionalen Kriege in Somalia und Südsudan führte und von den USA bezahlt wurde). Als diejenigen, die den USA dienten abgesetzt wurden und die neue Regierung sich weigerte, weiterzumachen, ging das Chaos von vorne los. Die ethnischen Mächte wurden wieder aufgerüstet (von den USA und Ägypten) und der Bürgerkrieg begann von neuem, und die Welt wird mit schamlos vereinfachten Nachrichten gefüttert. Aber das ist leider die Welt, in der wir leben...
- Dem Bauern Tilahun Ayelew, Protagonist im Film, geht es sehr gut, er ist glücklich und dankbar. Er hat seinen Garten ausgeweitet. Auf dem Feld hinter seinem Haus pflanzt er Zwiebeln, Tomaten und Sonnenblumen, erntet 3 Mal pro Jahr und kann auf dem Markt einen Gewinn erzielen. Er hat sich auch drei Schafe zur Zucht zugelegt. Einen Mangobaum will er nächste Saison anpflanzen. Seine Zisterne ist weiterhin gefüllt, aber leider ist die Pumpe kaputt gegangen. Tilahun hat beim District um Hilfe zur Reparatur gebeten, aber keine Antwort gekriegt.
- Fitalew, der Sohn von Tilahun, hat inzwischen geheiratet und lebt mit seiner Frau im neuen Elternhaus. Für ein Studium an der Universität hat es ihm leider knapp nicht gereicht. Aber er verfolgt eine Ausbildung in der nahen Kirche zum Vikar.
- Der Bürgerkrieg in Äthiopien beschäftigt die Administrationen in den Bundesländern und Bezirken derart, dass alle Entwicklung in BuraNEST zum erliegen kam. Allein die Dorfgemeinschaft macht weiter. So sind in den leeren Modellhäusern, die als Werkstätten gebaut wurden, unterstützungsbedürftige ältere Leute einquartiert worden. Die Schule wird zwischendurch als neuer Dorf-Versammlungsplatz genutzt. Der Modellgarten und die Baumschule werden weiterhin erfolgreich gepflegt.
- Zegeye Cherenet und Fasil Giorghis gründen eine neue Association for Building Communities (ABC), um das Erlernte aus dem Experiment BuraNEST 1. auf Ebene der politischen Entscheidungsträger einbringen zu können, 2. planen sie eine Tour durch die Bezirke in Amhara und Oromia, um das Interesse der Gemeinschaften für das Modell der nachhaltingen Landstadt zu wecken. Den Film URBAN GENESIS wollen sie dabei nutzen, um die Diskussion zu starten.
Regie: Dodo Hunziker
Buch: Dodo Hunziker, Yared Zeleke
Kamera: Frank Schwaiger, Pierre Reischer
Zusätzliche Kamera: Efrem Mekonnen
Schnitt: Anja Bombelli, Gisela Castronari-Jaensch
Musik: Ivo Ubezio
Sound Design: Peter von Siebenthal
Color Grading: Pierre Reischer
Produktion: Corinna Dästner, Urs Schnell
World Sales: Rushlake Media GmbH
Verleih Schweiz: Royal Film
Eine Produktion von DOKLAB GMBH in Koproduktion mit SRF Schweizer Radio und Fernsehen, SRG SSR, ZDF/ARTE
gefördert von Berner Filmförderung, Bundesamt für Kultur, Kanton St. Gallen Kulturförderung, Suissimage, MEDIA Desk Suisse, Ernst Göhner Stiftung, Succès Passage Antenne, Burgergemeinde Bern, Fondation Suisa unterstützt von Documentary Campus, Sources 2, FOCAL
Tilahun Ayelew
Fitalew Tilahun
Agegno Tilahun
Tigabnesh Bayley
Helen Zeray
Franz Oswald
Benjamin Stähli
Temesgen Atnafu
Bizuayehu Jembere
Fasil Giorghis
Zegeye Cherenet